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Corporate Coherence: Homeoffice – Goldstandard oder Korrosionsbeschleuniger?

Der Corona-Lockdown hat den Megatrend zum Homeoffice derart beschleunigt, dass wir Veränderung und Wirkung quasi in Echtzeit beobachten können. Um das Momentum zu nutzen, konzipierten wir eine Erhebung und stellten sie bei CIVEY online (Stichprobe: 3.000 Teilnehmer). Anknüpfend an unseren letzten Blog-Beitrag zum Thema (Corporate Distancing – Homeoffice Im Corona-Modus) wollten wir genauer wissen, welche Implikationen der pandemiebedingte Homeoffice-Boom konkret hat. Wie er sich auf Mitarbeiter, Betriebe und Gesellschaft tatsächlich auswirkt. Parallel dazu haben wir die mittlerweile umfangreiche Studienlage zum Thema einbezogen.

Für die Mehrheit der Beschäftigten und Betriebe ist Telearbeit eine Change-Erfahrung im Turbogang. Zwar sind Homeoffice und mobiles Arbeiten in vielen Unternehmen schon lange möglich, allerdings eher als Option oder HR-Benefit, weniger als Standard-Arbeitsmodell. Im Zuge der Pandemie war Homeoffice jedoch auf einen Schlag und flächendeckend umzusetzen.

Das scheint gut funktioniert zu haben, wie Studien nahelegen. So gut, dass 54 Prozent der Unternehmen langfristig stärker auf Homeoffice-Lösungen setzen wollen. Das ergab eine Umfrage des Münchener ifo-Instituts. Auch drei von vier Arbeitnehmenden haben im Homeoffice gute Erfahrungen gemacht, wie das Bayerische Forschungsinstitut für Digitale Transformation (bidt) herausfand. Zuletzt brachte die DAK eine Studie heraus, die ein ähnlich positives Bild zeichnet.

Die Befunde stimmen weitgehend mit den Ergebnissen unserer eigenen aktuellen Umfrage auf Civey überein: Rund die Hälfte der Teilnehmer würde gerne immer oder mehrmals die Woche von zuhause aus arbeiten. Zur Wahrheit gehört aber auch: Rund 30 Prozent wären dazu nur in Ausnahmefällen bereit oder auch nie.

Wie es sich auswirkt, wenn Homeoffice tatsächlich zum „new normal“ avanciert, wird sich langfristig zeigen. Noch wissen wir über die Langzeiteffekte von Homeoffice nicht wesentlich mehr als seinerzeit Henry Ford über die Folgen der Fließbandarbeit. Insofern können die aktuellen Untersuchungen – unsere Umfrage eingeschlossen – nur Momentaufnahmen sein. Deshalb bilden sie die Homeoffice-Realität auch nicht 1:1 ab, sondern spiegeln zumeist die subjektive Sicht der Betroffenen ihre neue Arbeitssituation wider.

Home & Office: Trautes Heim, Glück allein?

So geben beispielsweise viele der Befragten an, zuhause produktiver und konzentrierter arbeiten zu können. Gleichzeitig räumt ein Teil von ihnen ein, dass die häusliche Umgebung sie leicht ablenken könne. Mag sein, dass viele Homeworker ihr Laptop erst spät am Abend zuklappen. Vielleicht haben sie zwischendurch aber auch das Mittagessen zubereitet, die Hausaufgaben der Kinder kontrolliert oder eine kurze Siesta eingelegt. Alles Dinge denen sie sich im Büro nicht gewidmet hätten.

Am Ende bleibt vielleicht doch nur ein Gefühl, mehr geschafft zu haben. Andererseits gibt es Indizien dafür, dass im Homeoffice Beschäftigte tatsächlich oft Mehrarbeit leisten, nicht mehr abschalten können und sich selbst überfordern. Sei es, weil sie glauben, 24/7-Verfügbarkeit sei eine erwartete Gegenleistung für ein Mehr an Flexibilität. Oder weil sie glauben, nicht mehr als Person, sondern nur noch durch brillante Arbeitsergebnis sichtbar zu sein. Nicht ganz zu Unrecht übrigens: Wie unsere Umfrage zeigt, betrachten Führungskräfte im Homeoffice die Qualität der Arbeitsergebnisse ihrer Mitarbeiter als den mit großem Abstand wichtigsten Maßstab.

Unter dem Strich überwiegen derzeit jedenfalls die positiven Erfahrungen und Erwartungen. Läuft es also auf dauerhaft mehr Homeoffice und mobiles Arbeiten hinaus? Wohl nicht in Reinform, sondern als „Hybrid“, kombiniert mit (weniger) Präsenzarbeit. Dies bestätigte zuletzt das Nachrichtenmagazin Spiegel mit seiner Umfrage unter 30 DAX-Konzernen.

Die Formel lautet offenbar: So viel Homeoffice, wie an Aufgaben digitalisierbar und an ‚analogen’ Sozialkontakten unabdingbar ist. Dabei könnte sich auf Dauer gerade das Zwischenmenschliche als limitierender Faktor erweisen. Unserer Umfrage zufolge vermissen die Beschäftigten im Homeoffice die spontane Kommunikation mit Kollegen mit Abstand am meisten. Den Jüngeren sowie den berufstätigen Eltern geht es dabei vor allem um die „Pausen- und Flurgespräche“ (40,4 Prozent*). Besonders übrigens den Männern, interessanterweise. Auch leitende Angestellte und Entscheider vermissen das Spontane, fokussieren dabei jedoch besonders auf die „einfache Abstimmung“ und die „kurzen Dienstwege“ (43,8 Prozent) .

Civey Homeoffice Realitycheck Fink & Fuchs

Human Relations – abwesend anwesend

Auf Zuruf, spontan mal eine Idee vom Tischnachbarn gegenchecken lassen. Am lebenden Objekt on-the-fly zusammenkommen oder einfach Themen anschneiden, die Fingerspitzengefühl verlangen. So gut Web- und Videokonferenzen heute auch funktionieren mögen, die zuweilen entscheidenden feinen Unterschiede in der Kommunikation filtern sie weg.

Zudem nimmt im Homeoffice die Anzahl der kollegialen Kontakte ab, von durchschnittlich 10 bis 15 pro Mitarbeiter auf 5 bis 9. Das ermittelte das Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik in einer Studie mit 2.000 Teilnehmern. Außerdem wünschten 85 Prozent der Befragten mehr persönlichen und 66 Prozent mehr fachlichen Austausch. Und bei einer Umfrage auf LinkedIn gaben mehr als ein Drittel der teilnehmenden Homeworker an, gerne an ihren betrieblichen Arbeitsplatz zurückzukehren – meist aus Einsamkeit und aus Mangel an sozialer Interaktion.

Allein zuhaus’ – kein Korrektiv im Kollektiv

Dabei geht es um mehr als Abwechslung und Austausch. Es geht darum, sich im Team aneinander orientieren zu können. Sich selbst ein Korrektiv im Kollektiv zu finden. Oder zu erfassen, wo man persönlich und gemeinsam im Prozess gerade steht.

In unserer Civey-Umfrage stellt die erschwerte Kommunikation mit Kollegen und Kunden das meistgenannte Problem im Homeoffice dar*. Darauf folgen neben technischen Fragen Aspekte  der häuslichen Trennung von Arbeits- und Privatleben, etwa aufgrund der Raumsituation. Besonders den Jüngeren (18 bis 29 Jahre) fehlt oft ein geeigneter Arbeitsplatz. Sie räumten auch eher die „leichtere Ablenkbarkeit“ zuhause ein – übrigens deutlich häufiger genannt von Männer als von Frauen. Die nannten – wenig überraschend – relativ oft „Störung durch Familie & Kinder“. Womöglich durch „abgelenkte Männer“?

Homeoffice will gelernt sein, denn Homeworker importieren den Betrieb in die eigenen vier Wände. Dazu kursieren derzeit viele Whitepaper und Empfehlungen:

  • Sich selber Strukturen schaffen
  • Pausen einplanen
  • Sich die Arbeit einteilen statt sich zu überfordern
  • Erreichbarkeiten und Reaktionszeiten im Team klären
  • Täglich im Austausch mit den Kollegen bleiben, etwa über Dailys oder den Kaffeeplausch per Zoom

Ein Kernthema ist dabei die Entgrenzung von privater und professioneller Sphäre. Der schnelle Griff zu Handy oder Laptop verwischt die Grenzen allzu leicht. Umso wichtiger sind gerade daheim die klar markierten Rollenwechsel. Das Gros der Ratgeber ist auf den persönlichen Arbeitsalltag der Beschäftigten ausgerichtet. Allerdings müssen auch Organisationen Homeoffice „lernen“. Kommunikation ist der Schlüssel dazu.

Netzwerk statt Archipel – Distanzen überbrücken

Schon zu Beginn der Pandemie war es eine Herausforderung, alle Teammitglieder zusammen und alle Beziehungen aufrecht zu erhalten. Wenn Homeoffice nun zur Regel wird, müssen Arbeitgeber den internen Zusammenhalt und die Mitarbeiterbindung weiter intensivieren.

Unsere Umfrage bringt diesbezüglich eine für Arbeitgeber gute Nachricht: Insgesamt scheint die Verbundenheit während der „Corporate Distance-Phase“  gleich geblieben zu sein (41,9 Prozent), bei knapp einem Fünftel der Teilnehmer (19,2) sogar zugenommen, bei 15,5 Prozent dagegen abgenommen zu haben.

Zu denen, deren Beziehung zum Arbeitgeber abgekühlt ist, zählen überdurchschnittlich viele die 30- bis 39-jährigen. Das ist genau jene Altersgruppe, in der viele ins Mid-Management hineinwachsen und in deren Teams viel Koordinationsaufwand zu betreiben ist. Die Erfahreneren (50+) fühlen sich ihrem Unternehmen auch in Homeoffice-Zeiten stabil verbunden. Alte Liebe rostet eben nicht so schnell.

Kommunikation als Kitt für die Fernbeziehung

Wie lange eine Fernbeziehung hält, hängt letztlich von der gemeinsamen „Beziehungsarbeit“ ab. Kommunikation wird da zu einem zunehmend entscheidenden Erfolgsfaktor: Denn zwischen der Mitarbeiterzufriedenheit im Homeoffice und dem Kommunikationsverhalten bzw. -angebot des Unternehmens besteht offenbar eine enge Korrelation.

Insgesamt stellen mehr als die Hälfte der Beschäftigten (55 Prozent) der Kommunikation ihrer Arbeitgeber ein gutes Zeugnis aus. Allerdings sind die 18-39-jährigen unzufriedener mit der Kommunikation als ihre Kolleginnen und Kollegen ab 40.

Je virtueller die Zusammenarbeit, desto mehr kommt es auf die Kommunikation an. Da im Homeoffice jedoch viele der bisher üblichen Touchpoints mit dem Arbeitgeber und innerhalb der Teams wegfallen, dürfte der Kommunikations-Mix in Zukunft anders aussehen – und für jedes Unternehmen anders ausfallen. Einige sind „always on“, andere sind weniger responsiv. Je nach Branche, Größe, Standort, Teamzusammensetzung, digitalem Reifegrad etc.

Traditionelle Medien während der Transformation bevorzugt

Interessanterweise stützt sich die Kommunikation mit den Homeoffices noch auf traditionelle Medien, allen voran und mit großem Abstand auf E-Mail (57,7 Prozent)*. Weit verbreitet sind inzwischen auch Video- und Online-Meetings (48,3) sowie – vor allem bei den 30-39-jährigen bevorzugt – Telefonkonferenzen (38,4) – Rang 2 und 3 in unserer Liste.

Mit einigem Abstand folgen Messenger-Programme (16,9) und Newsletter (12,0). Mitarbeiter-Apps wurden noch selten genannt (6,5) und wenn­, – wie zu erwarten – vor allem von den 18-29-jährigen. Ebenso verhält es sich bei den Messengerdiensten.

Civey Homeoffice im Reality-Check Kommunikation Fink & Fuchs

Spannend wird in den kommenden Monaten sicher auch, wie Unternehmen das “Onboarding” neuer Mitarbeiter gestalten.

  • Im Homeoffice mit virtuellen Dauer-Schulungen und Einarbeitungs-Sessions?
  • In leeren Großraumbüros mit ausgewählten Schulungsbeauftragten, die punktuell aus dem Homeoffice vorbeikommen?
  • Wie mögen sich neue Mitarbeiter zudem in dieser Isolation fühlen?
  • Wie wirkt sich das auf deren Motivation und Leistungsfähigkeit aus?
  • Auf welcher Basis bewertet die Führungskraft – vom Homeoffice aus – das Leistungs-/Kompetenzportfolio der/des Neuen?
  • Diese und ähnliche Fragen werden an Bedeutung gewinnen, wenn die Wirtschaft in der Post-Corona-Phase wieder anzieht und den Arbeitsmarkt dynamisiert.

Am Beispiel Homeoffice beobachten wir live, wie rasant und umfassend die Transformation der Arbeitswelt vonstatten gehen kann. Wenn sich aber rundum alles ändert, sollten Arbeitgeber auch ihre Kommunikation weiterdenken. Nur so können sie den inneren Zusammenhalt und Sinn-Zusammenhang sowie letztlich die Identität des Unternehmens auf Dauer wahren. Corporate Distancing verlangt nun mal ein Plus an Corporate Coherence.

Letztlich ist dies auch eine Frage der unternehmerischen Verantwortung. Doch dieser Frage gehen wir im dritten Teil unserer Serie in diesem Blog nach: Corporate Responsibility.

Hier geht es zum ersten Teil der Serie: Corporate Distancing – Homeoffice Im Corona-Modus

*Mehrfachnennungen waren möglich