Content Marketing Fink und Fuchs

Content Marketing, halt mal die Luft an!

Kennen Sie das? Sie wissen, dass es Ihnen nicht gut tut, aber Sie tun es trotzdem. Beispielsweise im Sommer beim Grillen den Teller nochmal vollzuladen. Nicht, weil Sie noch Hunger haben, sondern weil es so gut schmeckt. Oder Spiele der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei Welt- oder Europameisterschaften als öffentliches Happening mit lauter Ahnungslosen zu schauen, die 2 Minuten nach dem Pfiff des Schiedsrichters immer noch nicht gemerkt haben, dass das Tor von Müller wegen Abseits nicht gegeben wurde.

Ähnlich geht es mir, seit ich mir einen Google Alert zum Thema „Content Marketing“ angelegt habe. Kein anderer meiner Alerts produziert täglich so viele Nachrichten, in denen gleichzeitig so wenig Substanzielles enthalten ist – sieht man vielleicht mal von dem Alert zu dem Thema „Industrie 4.0“ ab. Eigentlich müsste ich diesen Alert abschalten, denn er tut mir nicht gut. Aber bei dem Hype, der um Content Marketing gemacht wird, muss man sich zwangsläufig damit befassen. Doch in meinem Inneren denke ich mir doch des Öfteren: “Content Marketing, halt doch einfach mal die Luft an!” Es sind mehrere Dinge, die mich bei diesem Hype ärgern. Vielleicht tut es mir ja gut, mal darüber zu schreiben.

Worüber reden wir eigentlich?

Wie bei jedem Hype-Thema geht es auch bei Content Marketing um die Frage: Was ist das eigentlich? Spricht man in seinem Umfeld über das Thema, werden Content-Strategie und Content Marketing oft miteinander vermischt oder auch verwechselt. Für die einen ist es die zielgerichtete Distribution des bestehenden Contents. Für andere wiederum ist es die bahnbrechende Idee, wie man seine Produkte und sein Unternehmen für eine definierte Zielgruppe bekannt macht, ohne direkt über das Produkt zu sprechen. Hier wird mit dem mehr als 100 Jahre alten Guide Michelin ein leuchtendes Beispiel für Content Marketing genannt. Allein das zeigt: so neu und revolutionär ist das Thema wohl doch nicht.

Bei der Abfrage via Google nach der Definition erklärt Wikipedia, Content Marketing sei „eine Marketing-Technik, die eine klar definierte Zielgruppe mit informierenden, beratenden oder unterhaltenden Inhalten ansprechen soll“. Die Startup-Experten gründerszene.de definieren Content Marketing als „elementaren Teil der Unternehmenskommunikation“. Auf Basis einer Content-Strategie sollen unter Bereitstellung von hochwertigen und relevanten Inhalten neue Zielgruppen erschlossen werden. Anders als Werbung habe Content Marketing nicht das primäre Ziel, Unternehmen, Produkt und Marke positiv darzustellen und aktiv zum Kauf anzuregen. Stattdessen ginge es darum, „profitable Handlungsaktionen durch den Nutzer zu generieren“. Alles klar, oder? Und auf Onlinemarketing-Praxis.de ist von einer Kommunikationsstrategie die Rede, die nutzwertige, aber nicht werbliche Informationen transportieren, den Kunden aber nicht gleich zum Kauf des Produkts drängen soll.“ Die Betonung liegt hier wohl auf den Worten „nicht gleich“.

Wer hat’s erfunden?

Allein diese drei Definitionen unterscheiden sich voneinander, was einer Klärung nicht unbedingt förderlich ist. Also schauen wir mal über den Teich zu Content-Marketing-Guru Joe Pulizzi, dem Gründer des Content Marketing Instituts. Er sagt: „Content Marketing is a strategic marketing and business process focused on creating and distributing valuable, relevant and consistent content to attract and retain a clearly defined audience – and, ultimately, to drive profitable customer action.“ Hier ist jetzt nicht nur von Kreation sondern auch von der Distribution des Contents die Rede. Also Content-Strategie, oder wie? Oder ist es am Ende nicht doch alles das Gleiche? Wenn schon wichtige Quellen in der Definition voneinander abweichen, dann ist es nur allzu verständlich, dass bis heute viele Entscheider in Unternehmen zwar eine Relevanz für Content Marketing sehen, aber eigentlich noch nicht genau wissen, was es denn jetzt wirklich ist.

Was tut man in solchen Fällen? Man schaut mal nach, wer Bescheid weiß; am besten bei Google oder in den gängigen Fachmedien wie W&V, Horizont oder Absatzwirtschaft. Und wen findet man da? Vor allem erstmal die, die am lautesten schreien: „Ich hab’s erfunden und weiß am besten, wie es geht!!!“ Spätestens seit dem aktuellen US-Wahlkampf ist bekannt, der lauteste und schrillste ist nicht unbedingt die beste Lösung. Auch nicht bei mangelnden Alternativen. Aber genau wie im November in den Staaten wird es auch beim Content Marketing um viel Geld und letztendlich auch Macht gehen. Denn um dieses Thema ist ein neuer Markt entstanden. Und das ist tatsächlich eine Meisterleistung der Marketing- und Werbetreibenden: Sie haben einen Hype um etwas kreiert, dass es schon lange gibt.

Where is the beef?

Das Ziel von Content Marketing ist es, gemäß der Definitionen in Portalen und Nachschlagewerken, mit diesem nutzwertigen, relevanten Content Zielgruppen „vom eigenen Unternehmen und Leistungsangebot zu überzeugen. So sollen sie Kunden werden und das auch lange bleiben“ (Wikipedia). Oder, wie es gründerszene.de in kurzfristige Ziele wie Reichweite, Webseiten-Besucher und User-Engagement unterteilt. Die langfristigen Ziele sind Stärkung der Markenbekanntheit, Themenführerschaft, Community-Aufbau und Lead-Generierung. Das ist eigentlich nichts Neues. Das wirklich Neue ist doch nur eine Erkenntnis, die diesem Hype zugrunde liegt. Nämlich die, dass es mit der klassischen Werbung nach dem Motto „Kauf, Du Arsch“ (s. Titel der Ausgabe 02/2014 brand eins) nicht mehr funktioniert. Man könnte auch sagen, ohne guten Content können diese Ziele nicht mehr erreicht werden. Und genau diese Erkenntnis wird nun als bahnbrechende Revolution dargestellt, mit der uns Content Marketing beglückt.

Die digitale Transformation hat die Nutzung von Medien und Informationen revolutioniert. Verlage und Medienhäuser müssen ihre Geschäftsmodelle überdenken. So entdecken auch Medienhäuser wie die Verlagsgruppe Handelsblatt (Planet C) oder jetzt Gruner & Jahr (Territory) das Geschäftsfeld Content-Marketing für sich. Letztere haben für die dmexco eine Studie zu Content Marketing angekündigt und schon mal vorab “7 Richtlinien für Content Marketing” präsentiert. Unter Punk 1 steht “Besetzen Sie neue Themen”, Punkt 2 empfiehlt “Reden Sie über relevante Themen, nicht über sich selbst”. Und spätestens nach dem dritten Punkt “Setzen Sie nicht ausschließlich auf Spaß und Emotion” denke ich mir, ob das wirklich ernst gemeint ist.

Als Vertreter der PR-Branche blicke ich da einigermaßen irritiert auf derartige “Erkenntnisse” im Speziellen und den Hype um Content Marketing im Allgemeinen. Ja, natürlich erwarten die Empfänger von Inhalten, dass diese nützliche und relevante Informationen für sie enthalten. Und deshalb benötigen die Inhalte mehr als einen Slogan, bunte Bilder und inhaltliche Selbstbeweihräucherung. Man könnte auch sagen, dass guter Content journalistischen Ansprüchen genügen muss, um zu funktionieren. Aber das ist doch nicht neu. Diese Erkenntnis ist so alt, wie die Diskussion zwischen dem PR- und Marketing-Verantwortlichen um die Inhalte eines Textes, der den Medien zur Verfügung gestellt werden soll: Weniger (be-) wertende Emotion, mehr sachliche Differenzierung und Kontext, sodass der Journalist und seine Leser selbst bewerten können, welche Relevanz die Information für ihn hat. Aber seitdem das Marketing journalistische Formate entdeckt hat, um den Abverkauf ihrer Produkte anzukurbeln (s. Punkt 7 der Richtlinien: “Nutzen Sie Content als “Push to Commerce” wird so getan, als hätte man das Rad neu erfunden.

Was ist denn wirklich neu?

Wirklich neu sind doch eigentlich drei andere Dinge:

  • Neuheit Nummer 1, die vergrößerte Spielfläche, auf der Content in den Kategorien „Owned“, „Paid“, „Earned“ vielfältig inszeniert werden kann. Wer mitspielen will, muss alle Kategorien beherrschen. Werber und Marketing-Leute, bisher die Profis der Kategorien „Owned“ und „Paid“ müssen sich in dem Feld „Earned“ orientieren und erkennen, dass Erfolg das Ergebnis von guter, nachhaltiger inhaltlicher Arbeit ist.
  • Demgegenüber – und das ist Neuheit Nummer 2 – kann es sich der PR-Schaffende nicht mehr leisten, die Nase über die Kategorie „Paid“ zu rümpfen. Auch wenn es dafür genügend Anlässe gäbe: Im Zuge von “Native Advertising” fließen die Grenzen zwischen redaktioneller und gekaufter Fläche in den Medien und der neutrale Leser kann oft nicht mehr unterscheiden, ob der Beitrag von einem Journalisten geschrieben ist oder direkt als Werbung vom Unternehmen im Tarnhemd des redaktionellen Beitrages erscheint. Gleichzeitig bauen Unternehmen eigene Medienformate auf, um mit journalistisch aufbereiteten Inhalten neue Zielgruppen zu erschließen. Diesen Trend zum “Pseudo-Journalismus”, vor dem auch Medienkritiker und Publizist Prof. Dr. Lutz Frühbrodt warnt, muss man nicht gut finden. Doch es ist Fakt, dass man in Zeiten von Google Adwords, Native Advertising oder Werbung in sozialen Medien die Aufmerksamkeit eben nicht mehr alleine durch gute Medienarbeit erreichen kann.
  • Neuheit Nummer 3 ist die Tatsache, dass in Zeiten von Big Data, Targeting, Marketing-Automation, usw. mit einer Vielzahl von Analyse-Tools die Wirkung von Content in allen Kategorien gemessen und optimiert werden kann. Man könnte auch sagen: „Jetzt muss Farbe bekannt werden, welche Disziplin mit welcher Effizienz und Effektivität ihren jeweiligen Beitrag zu einer wertschöpfenden Kommunikation beiträgt.“ Das setzt Werbende, (Content-) Marketiers und PR’ler gleichermaßen unter Zugzwang und das ist doch gut so. Denn diese Entwicklung trägt dazu bei, dass sich insgesamt die Qualität von Content, dessen Vermarktung und Wirkung verbessern wird.

Abverkauf ist nicht das alleinige Ziel von Kommunikation

Aber anstatt im Kampf um die steigenden Content Marketing-Budgets die Ellenbogen auszufahren, wäre ein Schulterschluss der Disziplinen sicher nicht die schlechteste Idee. Denn jeder der Beteiligten kann mit anderen Kompetenzen zur Wertschöpfung beitragen. Gute Kommunikation sollte nicht nur die Steigerung des Umsatzes sondern auch den Aufbau von Vertrauen und die Stärkung der Reputation im Blick haben. Diese Ziele erreicht man nicht allein mit gutem Content. Mindestens genauso wichtig ist die Investition in den Aufbau und die Etablierung nachhaltiger Beziehungen zu allen relevanten Bezugsgruppen. Auf dem Wege dorthin sollten die PR-Schaffenden den mahnenden Zeigefinger etwas senken. Gleichermaßen sollten die Content-Marketing-Schreihälse ihre Lautstärke mal reduzieren. Halten wir es doch einfach mit Kevin Spacey, aka Frank Underwood, und konzentrieren uns gemeinsam auf die eigentliche Aufgabe, anstatt so viel Gedöns um das Thema Content Marketing zu machen: “The story is everything!”

Veröffentlicht von

Michael Grupe

Michael Grupe, Vorstand, Vorstandsmitglied, Kommunikationsagentur Fink & Fuchs Public Relations AG, Wiesbaden, Berlin, München