Programmatic Advertising

Politik trifft Marketing & Kommunikation – neue Herausforderungen für die Medienkompetenz

Letzte Woche in den Nachrichten: “Bekannte Marken schalten bei Youtube Werbung neben extremistischen Videos“. Das schreckt genauso auf wie die wachsende Zahl an Twitter-Nachrichten  folgenden Wortlauts “Hi “FirmaX”eure Werbung ist auf BreitbartNews erschienen. Sie können die Seite blacklisten. Danke”. Eine ganze Reihe an Unternehmen reagierte sofort und stoppte entsprechende Kampagnen.

Programmatic Advertising als Image-Falle

Unternehmen finanzieren hier anscheinend indirekt politische Plattformen – meist wohl unbewusst und ungewollt. Und dafür werden sie immer häufiger öffentlich an den Pranger gestellt. Wie konnte das passieren?

Ist bewusstes Handeln oder naives Herumstolpern in den Weiten des Internets und den Möglichkeiten des digitalen Marketings die Ursache? Wohl eher Letzteres, denn die überraschten und erschreckten Reaktionen vieler Verantwortlicher lassen vermuten, dass oft niemand wusste, wie das passiert ist. Die selten umfassende Kompetenz bzgl. der Wirkungsweisen von Targeting, Programmatic Advertising oder Cooky-basierter Zielgruppen-Ansprache bei Werbung und Content Marketing trifft hier auf Angebote von Vermarktern, die diese Wechselwirkung von Kommunikation und Reputation anscheinend auch noch nicht wirklich auf dem Schirm haben.

Algorithmen unterscheiden nicht, ob der identifizierte Liebhaber von Autos, Outdoor-Bekleidung oder Fernreisen gerade ein IS-Video anschaut oder sich auf Breitbart die neuesten “Nachrichten” reinzieht. Das hier auch erfahrende Instanzen wie der Guardian in die Fußfallen des Programmatic Advertising getappt sind, zeigt die jüngste Klage des Verlags gegen seinen Digital-Vermarkter und seine Stornierung von Aufträgen bei Youtube und Google.

Nicht nur weil man der eigenen Reputation schaden kann, ist ein bewussterer, medienkompetenter Umgang mit der verführerisch schönen, neuen digitalen Werbewelt geboten. Es geht dabei nicht nur um Brand Safety, Fraud Protection oder Kostentransparenz sondern um sehr viel mehr im Web und vor allem im zunehmend auch politisch instrumentalisierten Social Web.

Politisch motivierte Attacken auf Unternehmen

Im Herbst vergangenen Jahres stand Scholz & Friends im Kreuzfeuer von Angriffen von “rechts”. Ein Mitarbeiter der Agentur hatte Werbetreibende in seinem Blog zum Boykott der Werbemöglichkeiten auf seiner Meinung nach politisch nicht korrekten Websites aufgerufen. Motto: #KeinGeldfürRechts”. Die nachfolgende, teilweise geschmacklose Debatte richtete sich nicht nur gegen den Mitarbeiter selbst, auch sein daran nicht beteiligter Arbeitgeber sowie dessen Kunden wurden in die Diskussion hineingezogen. In Deutschland sind Boykott-Aufrufe rechtlich mehr als umstritten und eine adäquate Reaktion der Betroffenen legitim. Andererseits sind politische Meinungsäußerungen ebenso legitim, vorausgesetzt sie finden innerhalb der gesetzten Grenzen statt. Dass jedoch der Arbeitgeber eines politisch aktiven Mitarbeiters und die Kunden dieses Unternehmens angegangen werden, ist mir in den letzten Jahren nicht so oft untergekommen.

Die damalige Reaktion der Berliner Kollegen empfand ich als sehr angemessen, die Branchenverbände haben sich mit kleineren Statements zu Wort gemeldet und das Thema wurde von Medien wie Die Welt, Horizont oder Stern ausführlich berichtet. Zusammengefasst: Boykott-Aufrufe sind nicht zulässig und die individuelle politische Meinungsäußerung eines Mitarbeiters ist nicht Sache des Arbeitgebers. Deshalb sollte der Arbeitgeber für entsprechendes privates Engagement von Mitarbeitern auch nicht in die Mithaftung genommen oder öffentlich kritisiert werden.

Was ist zu tun?

Was heißt das alles nun in Zeiten von Skandalisierung, Fake-News, Social-Bots und verrohenden Sitten im Social Web? Wie gestaltet sich die Lage, wenn Eigentümer oder Manager sich – wie so oft gefordert – auch mal politisch äußern? Wird dann noch jemand zwischen Unternehmen und handelndem Akteur differenzieren? Oder sind nicht auch Unternehmen gefordert, ihre politischen Statements an der einen oder anderen Stelle über reine Marktinteressen oder Charity-Gedanken hinaus zu formulieren, z.B. für Europa, für Demokratie oder für Freiheit? Die potentielle Gefahr einer Attacke aus dem Social Web – egal aus welcher Richtung – nimmt zu. Zu den bekannten, mehr oder minder gut in NGOs organisierten Kritikern – wie Umweltaktivisten, Menschenrechtlern, etc. – kommen jetzt auch noch politische Akteure aus jedweder Richtung und in ausgesuchten Fällen von staatlicher Seite oder sogar vom Wettbewerb organisierte Guerilla-Maßnahmen hinzu. Damit umgehen will gelernt sein.

Das beginnt bei entsprechender Aufklärung der Mitarbeiter und dem Aufbau der notwendigen Medienkompetenz. Reicht über Richtlinien, welche Art von Plattformen und Werbemöglichkeiten das eigene Unternehmen überhaupt und wie nutzen sollte. Es erfordert ein differenziertes Überdenken von Verhaltensrichtlinien, die schlicht sagen “No politics” und eine klare Haltung, wie man mit solchen Themen umzugehen gedenkt. Nicht zu vergessen, bedarf es eines ausgereiften Monitorings und entsprechender Krisenvorbereitung sowie der genauen Prüfung neuartiger Werbeangebote hinsichtlich ihrer rechtlichen Zulässigkeit, ihrer politischen Correctness und auch ihrer Kosten.

Wird Regulierung die Probleme lösen?

Bei allen derzeit diskutierten, teilweise durchaus berechtigten “Regulierungsvorschlägen” bzgl. Löschung und Sperrung von nicht gewünschten Inhalten im Internet wollen wir wohl alle nicht auf die Freiheit des Internets verzichten; kritische Stimmen, skurrile Ansichten und Meinungsvielfalt inklusive. Und alleine aufgrund des schnell wachsenden Teils der “Weltbevölkerung”, der im Internet aktiv ist, wird die Zahl an im Netz sichtbaren Gegnern/Kritikern, an kontroversen Sichtweisen auf die Welt und auch die Vielfalt an durchaus grenzwertigen Inhalten weiter stark zunehmen. Gerade in den Grenzbereichen wird es wohl zu verstärkter Regulierung kommen, weil die Plattform-Betreiber in die Mithaftung für die Inhalte genommen werden. Wer immer darüber entscheiden wird, wo letztlich die Grenzen gezogen werden, ist noch unklar. Mit dem weitaus größten Teil des Internets werden wir – mit viel Umsicht –  leben müssen, außer wir schalten das Web ab.

Veröffentlicht von

Stephan Fink

Stephan Fink, Member of the Board & CEO of communications agency Fink & Fuchs Public Relations AG, Wiesbaden, Berlin, München